Presse SPD-Fraktion in der Regionalversammlung

Rede zu TOP 2 „Vierte Änderung des Landesentwicklungsplanes Hessen“ der Regionalversammlung Südhessen am 03.07.2020, Stadthalle Offenbach

 

Sehr geehrte Frau Regierungspräsidentin,
sehr geehrte Damen und Herren,

zu Beginn möchte ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Verantwortlichen des Regierungspräsidiums für den vorgelegten Beratungsentwurf bedanken. An vielen Stellen greifen die Anmerkungen der Fachbehörden etwaige Mängel oder notwendige Konkretisierungsvorschläge auf, die auch uns beim Blick in den neuen LEP aufgefallen sind.

Die Kooperation hat sich entsprechend darauf beschränkt, einzelne Punkte zu benennen, die aus unserer Sicht einer dringenden Überarbeitung bedürfen.

Zunächst halten wir fest, dass die Welt, in der die Landesregierung den Beschluss über den LEP gefasst hat, eine gänzlich andere war als die, in der wir heute Leben. Die Corona-Pandemie hat unser aller Zusammenleben verändert, internationale Beziehungen durcheinandergeworfen und die globale Wirtschaft auf den Kopf gestellt. Wir sind deshalb der Auffassung, dass die Auswirkung auf Bevölkerungsprognose und gesamtwirtschaftliche Entwicklung nochmal einer Neubewertung unterzogen werden muss, bevor man den LEP in Kraft setzen wird.

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Eine besondere Berücksichtigung sollte dabei die fortschreitende Digitalisierung und der Bedarf an zusätzlichen Rechenkapazitäten - Stichwort Mobiles Arbeiten und Homeoffice - finden. Wir haben diesen Punkt in die Stellungnahme mit aufgenommen. Er hätte aber auch ohne die Corona-Pandemie Eingang gefunden.

Deutlich kritisieren wir die einheitliche Festlegung der Dichtevorgaben für die künftige Bauleitplanung im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main ohne Berücksichtigung der strukturellen Unterschiede.

Mit der Änderung werden die Kommunen ohne genauere Betrachtung ihrer Lage alle über einen Kamm geschoren. Es bleibt vollkommen unberücksichtigt, dass dem per Gesetz definierten Ballungsraum auch Städte und Gemeinden angehören, die sehr ländlich geprägt sind. Neben den Dichtewerten für den „Hochverdichteten Raum“, den „Verdichteten Raum“ und den „Ländlichen Raum“ wird somit eine zusätzliche Raumkategorie „Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main“ eingefügt. Nach Ziel 4.2.1-5 der 4. Änderung des LEP ist der Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main jedoch kein eigens definierter Strukturraum. Seine Gebietsabgrenzung ergibt sich - „systemfremd“ - durch das Gesetz über die Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main.

Extremfälle sind Kommunen im Hintertaunus wie Weilrod, die als Gemeinde im dünn besiedelten ländlichen Raum künftig genauso behandelt werden soll, wie die Stadt Raunheim im hochverdichteten Raum im direkten Umfeld Frankfurts. In Zukunft sollen diese alle mit dem gleichen Basisdichtewert von 40 Wohneinheiten pro Hektar versehen werden. Solche Vorgaben sind im Einklang mit der bereits ansässigen Bevölkerung im ländlichen Raum nicht umsetzbar und wirken deshalb - trotz anderer Zielsetzung - kontraproduktiv für die Schaffung von dringend benötigtem Wohnraum. Die Wahrung dörflicher Strukturen sowie der Erhalt der typischen architektonischen Kulisse sind bei den genannten Dichtewerten genauso unmöglich, wie die Sicherung der heterogenen Beschaffenheit der Metropolregion.“

Aus den Reihen der Grünen wird an diesem Punkt immer wieder die These hervorgebracht, wir würden mit unserer Kritik an dieser LEP-Regelung „den ländlichen Raum von der Verpflichtung für den Ballungsraum entbinden“ wollen. Zuletzt hat dies Kollegen Vogt in der Sitzung der Verbandskammer am vergangenen Mittwoch so geäußert. An anderer Stelle wird uns vorgeworfen wir vernachlässigten das Ziel des Flächensparens und wollten „die Rhein-Main-Region weiter zubetonieren“, wie Kollege Robert Müller mir im Kreistag vorwarf. Völlig ungeachtet bleibt bei diesen Äußerungen aber der Sachverhalt, dass auch ohne Sonderregelung für das Regionalverbandsgebiet bereits stark ausdifferenzierte Dichtevorgaben für Nord-, Mittel, und Südhessen im LEP vorhanden sind.

Wenn wir beim Ballungsraum bleiben, so begrüßen wir zunächst, dass die durch die Zorah-Studie beabsichtige Abstufung von Mittelzentren vom Tisch ist. Mit der Definition polyzentraler Mittelzentren ohne Verflechtungsbereich ist hier eine neue Kategorie entwickelt worden, die aber nicht stringent durchgehalten wird. Auch hier werden im Einzelfall Grundzentren zugeordnet. Wir regen an, die hier getroffenen Zuordnungen nochmals kritisch zu hinterfragen.

Gleiches gilt für die Zielfestlegungen mittelzentraler Kooperationen - egal ob im Verdichtungsraum oder im ländlichen Raum. Ob die hier getroffenen Festlegungen der tatsächlichen Lebenswirklichkeit der Menschen in den betroffenen Kommunen entspricht, wagen wir zu bezweifeln. Gleiches gilt für die tatsächliche Eignung solcher Kooperationen im Sinne einer hinreichenden Daseinsvorsorge.

Beim Stichwort „Daseinsvorsorge“ kommen wir zwangsläufig zu einem weiteren Kritikpunkt: Die Versorgungsfunktion der Grundzentren wird weiterhin unterteilt in Unter- sowie Kleinzentren. Dabei wird für Kleinzentren eine Grundversorgungsfunktion im Einzelhandel mit Lebensmittelgrundversorger (Metzger, Bäcker, mobile Verkaufsstelle) festgelegt.
Die Realität der Grundversorgungsfunktion in Unter- und Kleinzentren insbesondere im Ballungsraum weicht aber bereits jetzt erheblich von den getroffenen Vorgaben ab. Selbst zahlreiche Ortsteile ohne jegliche Grundversorgungsfunktion bewegen sich in einer Einwohnergrößenklasse oberhalb von 5.000 Einwohnern und verfügen zur wohnortnahen Versorgung über Vollsortimenter und teilweise gar über Discounter. Eine zukünftige, wohnortnahe Grundversorgung insbesondere in diesen Bereichen ist schon auf Grund des klimarelevanten Verkehrsaufkommens für An- und Abfahrt unerlässlich. Gleiches gilt hinsichtlich der Versorgung für mobilitätseingeschränkte Menschen.

Zu guter Letzt bleibt als großer Kritikpunkt an den neuen LEP-Regelungen, der gänzliche Verzicht auf Zielvorgaben für den ländlichen Raum. Das Regierungspräsidium schreibt in seiner Vorlage freundlich ausgedrückt: „Damit wird der Eindruck erweckt, dass für den ländlichen Raum weniger verbindliche Zielvorstellungen bestehen“.

Meine Damen und Herren,

ich neige heute zu ein wenig deutlicheren Worten: Der gänzliche Verzicht auf Zielvorgaben für den ländlichen Raum ist ein Offenbarungseid für das Grün geführte Landesentwicklungsministerium. Offenbar hat sich auch der Einsatz der Regionalbeauftragten „als Ohr am Puls der ländlichen Räume“ wie im einschlägigen Internet-Auftritt zu lesen ist, nicht ausgezahlt.

Der Mangel an Zielvorgaben für den ländlichen Raum bescheinigt deutlich, dass die thematische Eindimensionalität der Grünen und die gleichzeitige Konzentration auf die Zentren eine perspektivische Katastrophe für die Peripherie darstellt. Die sehr spezielle Art grüner Wertschätzung für den ländlichen Raum hat Kollege Horst Burghardt bereits am vergangenen Mittwoch in seinem Beitrag zum Beitrittsantrag der Gemeinde Glauburg zum Regionalverbandsgebiet deutlich zum Ausdruck gebracht.

Da nützt es auch nichts nun - wie im Änderungsantrag von den RVS-Grünen angeregt - einfach die LEP-Grundsätze in Ziele umzuformulieren. Vielmehr wäre es notwendig, die genannten Zielvorgaben für die Verdichtungsräume nämlich „die räumliche Entwicklung durch Entwicklungsachsen, Schwerpunkte der Siedlungs- und Gewerbeflächenentwicklung … zu ordnen und zu strukturieren“ ebenfalls für die ländlichen Räume anzuwenden. Gleichzeitig müssten insbesondere hier die Schwerpunkte genauer definiert und durch einsprechende Clusterbildung anschließend Perspektiven für Odenwald, Spessart und Rheingau – um nur unsere ländlichen Räume zu nennen - geschaffen werden.

Zu guter Letzt möchte ich an dieser Stelle noch begründen, warum wir die beantragten Passagen aus der Grünen zum Thema Einzelhandel ablehnen. Die Regionalplanung setzt aus unserer Sicht den Rahmen für die Ansiedlung großflächigen Einzelhandels. Relativ schnell wird aber deutlich, dass die Absicht der Grünen mehr auf eine Totalregulierung sowie Konkurrentenschutz hinsichtlich der Planungen der Firma Segmüller in Bad Vilbel abzielt. Für eine Regelung nach der Devise „Lex Segmüller“ sind wir aber unter Berücksichtigung des hohen Gutes des freien Wettbewerbes nicht bereit.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!